Erst Asyl, dann Arbeit? – DW (Deutsch)
Der "Spurwechsel" bleibt Glückssache: Mit neuen Gesetzen zur Migration will Berlin sowohl Abschiebungen als auch Integration vorantreiben. Doch von Asylantrag bis Arbeitsvisum bleibt es ein langer Weg.
Mitte 2015 kam Danish Mirza aus Pakistan nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Er lernte Deutsch und fand sozialen Anschluss in einem Badminton-Verein. Sein pakistanischer Krankenpfleger-Abschluss und eine Qualifizierungsmaßnahme in Deutschland verhalfen ihm zu einem Praktikum mit anschließender Festanstellung in einem Seniorenheim. Nach mehr als zwei Jahren im Beruf möchte er nun eine Ausbildung zum examinierten Altenpfleger zu absolvieren.
Medien haben über Mirza berichtet, weil er seine Sorgen Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende April persönlich vorgetragen hat, beim Bürgerdialog in Schwedt, in Brandeburg. Damals kündigte Merkel an, noch in diesem Jahr ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das sich Asyl und ausländischen Fachkräften widmet. An diesem Freitag will sie liefern. Dann soll der Bundestag gleich ein ganzes Gesetzespaket verabschieden.
Dazu gehört unter anderem das “Geordnete-Rückkehr-Gesetz”, das nicht nur Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Linken, als “Verfassungsbruch mit Ansage” bezeichnet. Die darin vorgesehenen Sanktionen, darunter die Streichung von Sozialleistungen bei fehlender Kooperation von Asylbewerbern, die vereinfachten Voraussetzungen für Abschiebehaft und die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in Justizvollzugsanstalten, gelten vielen Experten als unvereinbar mit dem Grundgesetz.
Zuckerbrot und Peitsche
Auf der anderen Seite sollen andere Gesetze des Pakets es vereinfachen, ausländische Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren – nicht nur Asylbewerber in Deutschland, sondern auch Menschen, die in einem Drittland ein Arbeitsvisum beantragen.
Das Gesetzespaket, das am Freitag dem Bundestag zur Abstimmung vorliegt, ist laut Helen Schwenken, Migrationsforscherin an der Universität Osnabrück, widersprüchlich: “In dem einen Gesetz wird gesagt: Wir wollen Dich haben. Und in dem anderen Gesetz werden so hohe Hürden aufgestellt, dass es fast für niemanden möglich sein wird, in diese Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung hineinzukommen.”
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Die sogenannte Ausbildungsduldung gibt es bereits heute: Abgelehnte Asylbewerber, die einen Ausbildungsplatz nachweisen können, haben einen Anspruch darauf, für die Dauer ihrer Ausbildung geduldet zu werden, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind.
Geduldet wird, wer unter anderem nicht aus einem “sicheren Herkunftsland” stammt, keine Straftat begangen und seine Identität nicht verschleiert hat. Danach bestehen gute Aussichten auf weitere zwei Jahre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis.
Schieben wir “die Falschen” ab?
Dass Asylbewerber bessere Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt erhalten sollen, findet man beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) grundsätzlich einen guten Ansatz. Ende 2018 hatten knapp 400.000 der vor allem 2015 eingereisten Flüchtlinge eine Ausbildung oder Arbeitsstelle gefunden.
Die neuen Gesetze könnten zumindest einem Teil der Flüchtlinge schneller zu einem geregelten Aufenthalt verhelfen, sagt Constantin Bräunig vom DIHK-Netzwerk “Unternehmen integrieren Flüchtlinge”: “Sicherlich ist aber die Frage, ob einzelne Aspekte wirklich förderlich sind: Wenn man Wartefristen einbaut, wirkt dies dem Ziel entgegen, Menschen, die in Arbeit sind, einen Aufenthalt zu ermöglichen.”
Worauf Bräunig hinweist: Nachdem ein Asylantrag rechtskräftig abgelehnt worden ist, müssen die nunmehr “Ausreisepflichtigen” zunächst drei beziehungsweise zwölf Monate geduldet werden, bis sie Anspruch auf eine Ausbildungs- beziehungsweise Beschäftigungsduldung erlangen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte Mitte 2018, er habe “das Gefühl, dass die falschen Menschen Deutschland verlassen müssen.”
Anwälte und Insider berichten, dass zum Teil ausgerechnet gut integrierte Asylbewerber zuerst abgeschoben werden, schlicht und ergreifend, weil sie einfacher anzutreffen seien, als Asylbewerber, die untergetaucht sind.
Auch beim DIHK hat man von Fällen gehört, in denen Ausreisepflichtige während der Arbeitszeit von Polizisten zur Abschiebung abgeholt wurden: “Es sind Einzelfälle, aber sie kommen immer wieder vor”, sagt Constantin Bräunig der DW. “Zum Teil sind dann andere Geflüchtete, die das miterlebt haben, nicht mehr zur Arbeit erschienen.”
Spurwechsel nicht einfacher geworden
Genau das könnte auch Danish Mirza passieren. “Die Anerkennungsquote für Asylbewerber aus Pakistan ist nicht besonders hoch”, sagt Migrationsforscherin Schwenken. Und: “Die Voraussetzung für eine Ausbildungsduldung nach den neuen Gesetzen erfüllt er frühestens drei Monate nach der Ablehnung seines Asylantrags.” Solange müsste er dann auf eine Duldung hoffen, die im Ermessen der jeweiligen Ausländerbehörde liegt.
Auch das neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, mit dem Arbeitnehmer aus Drittstaaten künftig schneller einen unbefristeten Aufenthaltstitel erhalten können, dürfte Mirza nach heutigem Stand nicht weiterhelfen, da er ohne Examen in der Altenpflege die Voraussetzungen nicht erfüllt, mein Migrationsforscherin Schwenken. Ein sogenannter Spurwechsel – also ein Wechsel vom Asylverfahren zum Arbeitsvisum gestaltet sich also schwierig.
Mirza selbst argumentierte gegenüber Bundeskanzlerin Merkel nicht mit Paragraphen, sondern mit gesundem Menschenverstand: Der deutsche Staat habe doch bereits zu viel Geld und die Gemeinschaft in Schwedt zu viel Engagement in seine Integration gesteckt, um ihn abzuschieben.
Merkel sagte, es handele sich um “einen typischen Fall”, den sie als Beispiel mit in die Verhandlungen nehmen wolle. Ein Richtungswechsel ist laut Experten im Migrationspaket dennoch ausgeblieben.
“Es ist eine vertane Chance, einer großen Zahl Menschen einen Spurwechsel zu ermöglichen”, sagt Helen Schwenken. “Die Voraussetzungen dafür sind so anspruchsvoll, dass diese Idee nicht realisiert werden kann.”